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Menschen vernetzen

Der Einundzwanzigjährige, der in ein Pflegeheim zog

Mit seinem Buch erreichte Teun Toebes Bestsellerstatus. Als 21-Jähriger wohnte der junge Niederländer für dreieinhalb Jahre mit Menschen mit Demenz zusammen. Auf der ConSozial, Deutschlands führender KongressMesse in der Sozialwirtschaft, wird er eine Ehrung entgegennehmen und sein Buch präsentieren.

In „Der Einundzwanzigjährige, der freiwillig in ein Pflegeheim zog und von seinen Mitbewohnern mit Demenz lernte, was Menschlichkeit bedeutet“ schrieb er über seine Erfahrungen bei diesem aufsehenerregenden Experiment und wirbt seither unablässig für einen anderen Umgang mit Menschen mit Demenz – auch bei der ConSozial. Was wir als Gesellschaft ändern können, verrät er im Interview. 

Herr Toebes, was bringt einen jungen Menschen dazu, freiwillig in eine geschlossene Abteilung zu gehen?

Im Alter von 21 Jahren habe ich mich entschieden, in der geschlossenen Abteilung für Menschen mit Demenz zu leben, weil ich mir große Sorgen um die Zukunft der Menschen mit Demenz mache.

Genau dadurch, dass wir den Menschen, die derzeit keine Stimme haben, eine Stimme geben und zuhören, können wir diesen Wandel erreichen. Nicht, indem wir ein Pflegesystem organisieren, das auf unseren Annahmen über die Bedürfnisse der Menschen beruht, sondern indem wir die Menschen bei ihren Bedürfnissen unterstützen. Ich bin zuversichtlich, dass wir unsere Zukunft verändern können.

Demenz ist kein Problem des Gesundheitswesens, sondern ein Problem der Gesellschaft.

Teun Toebes

Wie hat Sie in dreieinhalb Jahren das Zusammenleben mit den Menschen mit Demenz geprägt, was haben Sie dabei gelernt?

Nachdem ich in dieser Zeit mit Menschen mit Demenz zusammengelebt habe, habe ich gelernt, dass wir den Schlüssel zur Veränderung selbst in der Hand haben. In diesen Jahren konnte ich wunderbare Freundschaften aufbauen und habe meine Mitbewohner sehr lieb gewonnen. Gleichzeitig habe ich aber auch täglich den Schmerz meiner Mitbewohner erlebt. Das derzeitige Bild von Demenz ist tiefschwarz und das Pflegeheim ist ein ausgrenzendes System mit der Krankheit als Grundlage. Wenn sich dies nicht ändert, können wir nicht erwarten, dass Lebensqualität das Ergebnis und das Ziel ist.

Wenn wir Menschen mit Demenz zuhören, wird deutlich, dass Demenz zwar störend sein kann, dass aber ein Großteil des Schmerzes, den die Menschen erleben (z. B. nicht mehr als vollwertig angesehen zu werden, soziale Ausgrenzung zu erfahren), nicht von der Demenz herrührt, sondern von der Art und Weise, wie wir als Gesellschaft mit den Menschen umgehen. Das ist einerseits schmerzhaft zu hören, andererseits aber auch hoffnungsvoll, was wir als Gesellschaft ändern können. Deshalb glaube ich, dass Demenz kein Problem des Gesundheitswesens ist, sondern ein Problem der Gesellschaft. 

Sie sagen, die Grundlage für einen Wandel liegt bei uns, wir müssen nur eine andere Perspektive einnehmen. Wie meinen Sie das?

Unsere eigene Denkweise ist der größte Hemmschuh für diesen Wandel. Gegenwärtig sehen wir Menschen mit Demenz oft als "die anderen", die sich ändern können. Ich glaube, wenn wir anfangen, anders zu denken, werden wir auch anders handeln. Wenn wir Menschen mit Demenz nicht nur als Verlust sehen, sondern als Menschen wie du und ich, wird sich unser ganzer Umgang ändern. Ein anderes Menschenbild ist die Grundlage.

Ulrike Scharf überreicht Teun Teubes Auszeichnung

Teun Teubes wird von Ulrike Scharf, Bayerische Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales, für sein soziales Engagement geehrt. 

Im Rahmen der ConSozial werden Sie vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst geehrt. Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie?

Das bedeutet vor allem, dass die Botschaft, die viele Menschen bewegt, immer mehr Gehör findet. Dafür bin ich nicht nur sehr dankbar, sondern es ist besonders notwendig, um diesen gesellschaftlichen Wandel zu realisieren. Schließlich ist es nicht eine Frage des Ob, sondern des Wann, wenn wir persönlich mit Demenz in Berührung kommen.

Für diesen Kulturwandel werden alle gebraucht: das Gesundheitswesen, die Unternehmer, die Politik – alle. Es gibt Hoffnung auf eine bessere Zukunft, also müssen wir diese Botschaft verbreiten, die Stimme hinaustragen. Und natürlich ist es großartig, dass das Bayerische Staatsministerium zum Botschafter für diese Botschaft wird.

Bei der ConSozial kommen alle Akteure der Sozialwirtschaft im deutschsprachigen Raum zusammen. Eine ideale Plattform also, um „die Stimme hinauszutragen“?

Auf jeden Fall. Ich freue mich deshalb darauf, auf der ConSozial mit vielen Menschen darüber zu sprechen, wie wir unsere Gesellschaft inklusiver gestalten können. Der Wandel hat begonnen, lassen Sie uns ihn gemeinsam fortsetzen!

Redaktionsmitglied Reinhold Gebhart
Reinhold Gebhart
Online-Redaktion // Redakteur bei Vincentz Network
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