2022 gibt es für die Bio-Branche viel zu feiern: Sechs runde Jubiläen internationaler und deutscher Verbände stehen an. Für das NürnbergMesse-Magazin zeichnen sie das „Big Picture“ der Branche: Status quo, Herausforderungen, Zukunft. Für Karen Mapusua, Präsidentin des Weltverbandes IFOAM, ist „jetzt die Zeit für große Ambitionen“.
Als Bio noch in den Kinderschuhen steckte, wurde die International Federation of Organic Agriculture Movements (IFOAM) 1972 gegründet. Ihre Vision: Die breite Einführung nachhaltiger Landwirtschaft, Wertschöpfungsketten und Konsum in Einklang mit den Grundsätzen des ökologischen Landbaus zu fördern.
50 Jahre später, ist Bio keine Nische mehr. Weltweit gibt es 3,4 Millionen Bio-Landwirte, die auf 75 Millionen Hektar Land produzieren. In mehr als 18 Ländern wird bereits mehr als 10 Prozent der Ackerfläche zertifiziert ökologisch bewirtschaftet. Spitzenreiter Liechtenstein (41,6%) liegt hier vor Österreich (26,5%) und Estland (22,4%).
2020 erreichte der Weltmarkt für ökologische Produkte ein Volumen von 120 Milliarden Euro, um 14 Milliarden mehr als im Jahr zuvor. Die USA (49,5 Mrd. Euro) liegen in diesem Ranking vor Deutschland (15 Mrd. Euro) und Frankreich (12,7 Mrd. Euro). Karen Mapusua ist dennoch überzeugt: „Es gibt noch viel zu tun!“
Um Bio voranzutreiben, braucht es Einflussnahme auf Politik und globale Foren. „Wir haben in den letzten fünf Jahren drei Dinge erreicht,“ freut sich die IFOAM-Präsidentin. Erstens werde Bio weltweit als Teil der Lösung für die drei globalen Krisen Klima, Ernährungssicherheit und Biodiversität anerkannt. Zweitens heben alle wichtigen globalen Foren die ökologische Landwirtschaft als eine zu fördernde Strategie hervor, so Mapusua. Und drittens seien endlich Mythen wie „Bio könnte die Welt nicht ernähren“ und „Bio sei schlecht für das Klima“ entkräftet worden. Deshalb war Klimaresilienz auch eines der großen Themen bei der diesjährigen Summer Edition der BIOFACH, Weltleitmesse für Bio-Lebensmittel.
Die Ziele bis 2030 sind ehrgeizig, aber wir alle wissen, dass jetzt die Zeit für große Ambitionen ist.
Die Herausforderungen für die Bio-Bewegung seien auch 50 Jahre nach der Gründung des IFOAM groß, sagt Karen Mapusua: „Wir müssen die Öko-Landwirtschaft in dem Tempo ausbauen, das für die Ernährungssicherheit, das Klima und die Marktbedürfnisse erforderlich ist.“ Eine Mammutaufgabe, für die es die Schulung von Landwirten, den Aufbau von Kapazitäten im Biosektor, Verfolgung und Sanktionen bei Betrug, die Entlarvung von „Greenwashing“ und vor allem eine massive Mobilisierung der Politik brauche.
Die Politik ist ambitioniert. Bis 2030 soll der Bio-Anteil in der EU auf 25% und in Deutschland sogar auf 30% ansteigen. „Sehr kühne Ziele“, sagt Karen Mapusua, „doch sie sind zu begrüßen, denn wir alle wissen, dass jetzt die Zeit für große Ambitionen ist. Die ganze ökologische Welt schaut auf die EU, lernt aus ihren Erfahrungen und hofft, die Erfolge nachahmen zu können.“
Für das Erreichen dieser Ziele seien aber einige Maßnahmen notwendig, wie die Umschichtung der Agrarsubventionen, damit Landwirte für den Schutz der biologischen Vielfalt, der Bodenregeneration, des Klimas und des Tierschutzes belohnt werden, so Mapusua. „Gebühren auf den Einsatz von Pestiziden und nicht erneuerbaren Düngemitteln können sicherstellen, dass sich die Umwelt- und Gesundheitskosten in den Kosten für konventionelle Lebensmittel widerspiegeln“, ist Mapusua überzeugt.
Mit seinen rund 800 Mitgliedern und Unterstützern aus mehr als 120 Nationen kann IFOAM Erfolge für die Branche verzeichnen, auf die sich aufbauen lässt: Die Gründung einer Agrarökologie-Koalition aus 30 Nationen und über 50 globalen Organisationen beim UN-Gipfel für Lebensmittelsysteme etwa, die sich der weltweiten Verbreitung von Bio verschrieben hat.
Oder die Entwicklung solider Bio-Verordnungen. Bereits in 76 Ländern sind sie voll funktionsfähig, in 20 weiteren müssen sie noch vollständig umgesetzt werden und 15 arbeiten derzeit an der Entwicklung solcher. Karen Mapusua lädt die ganze Bio-Branche ein, sich am Dialog zu beteiligen, „auch auf der BIOFACH, damit wir gemeinsam den Kurs für das nächste Jahrzehnt bestimmen können“.
Was ihr aber am wichtigsten ist: „Dass wir den Wandel vorantreiben, indem wir unsere Mitgliedsorganisationen auf der ganzen Welt in ihrer Interessenvertretung durch die Organic Academy, Beratungsdienste und den Austausch bewährter Politik- und Lobbypraktiken über unser globales Netzwerk stärken und befähigen.“
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NürnbergMesse/ Uwe Niklas